“Die statistische Analyse dynamischer Netzwerkdaten.”
By Christian Steglich and Andrea Knecht, 2010.
In Christian Stegbauer and Roger Häußling (Eds.), Handbuch der Netzwerkforschung, Wiesbaden (Verlag für Sozialwissenschaften), 427-440.
Das sozialwissenschaftliche Interesse an dynamischen Netzwerkfragestellungen ergibt sich aus dem oft vorläufigen Charakter von Analysen einzelner Messungen eines Netzwerks, da solche Querschnittsanalysen im Allgemeinen wenig kausale Rückschlüsse zulassen und daher einem Verstehen des Netzwerkes noch nicht sehr nahe kommen. So kann man mit klassischen (d.h., beschreibenden) Querschnittsverfahren z.B. den Zusammenhang zwischen strukturellen Eigenschaften der Akteure im Netzwerk und ihren individuellen Eigenschaften studieren. Beispiele hierfür finden sich überall in der Netzwerkliteratur, zu denken wäre etwa an den Zusammenhang zwischen strukturellen Löchern in Netzwerken von Managern und deren Arbeitsleistung (Burt, 1992), zwischen strukturell kohäsiven Netzwerkregionen und Kooperation der Akteure (Gould, 1993), oder zwischen Segregation von Netzwerken und Ethnizität, Geschlecht oder Verhaltensdimensionen der Akteure (Moody, 2001). Solche beschreibenden Analysen einzelner Netzwerke werfen aber vor allem die Frage auf, wie sich der gefundene Zusammenhang erklären lässt. Oft gibt es verschiedene Erklärungen für denselben Sachverhalt. Am Beispiel der Theorie struktureller Löcher wäre die Frage zu beantworten, ob tatsächlich die Fähigkeit individueller Manager unverbundene Netzwerkregionen zu vernetzen zu deren Berufserfolg beiträgt - oder ob nicht vielmehr umgekehrt ihr Berufserfolg es ihnen erst ermöglicht, von unverbundenen Netzwerkregionen Kenntnis zu erhalten und ihnen erst eine formelle Position zuteil werden lässt, in der sie diese Kenntnis auch ausnutzen können. Empirisch lassen sich diese Erklärungen nur dann voneinander unterscheiden, wenn man longitudinale Daten zur Verfügung hat. Wie das Beispiel verdeutlicht sind es oft gerade die Prozesse, die zur Entstehung eines beobachteten Netzwerks führten, die von inhaltlichem Interesse sind. In vielen Fällen lassen sich Netzwerkdaten daher als Momentaufnahme eines Evolutionsprozesses verstehen. Dem beschreibenden Schritt der Analyse einer solchen Momentaufnahme folgt dann auf natürliche Weise der im Verständnis tiefer gehende Schritt der Analyse der generierenden Netzwerkdynamik, den wir in diesem Kapitel behandeln wollen.
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